Skandal 1

Die Zufallsproduktion hat derzeit wenig Gelegenheit zu Skandalen und Erregung öffentlichen Ärgernisses, aber die Berliner Aktion soll trotzdem nicht vergessen werden.
Im Sommer 2001 bekamen wir die Aufgabe, Spendengelder für das Holocaust-Denkmal Berlin zu akquirieren. Der Bundestag hatte zuvor 50 Mio. DM für den Entwurf von Eisermann am Potsdamer Platz bewilligt und Lea Rosh schäumte vor Wut. 20 Jahre hatte sie und ein kleiner Verein dafür gekämpft, dass es endlich ein Mahnmal geben sollte, und nun sah sie den deutschen Michel durch die Sozis entlastet und aus der Verantwortung genommen.
Frau Rosh wollte, dass jeder einzelne die Notwendigkeit eines persönlichen Opfers einsah, und bat uns, eine Spendenkampagne ins Leben zu rufen. Für ein Archiv, am Rande des Geländes.
Wir bekamen ein 12 m hohes Baustellenplakat und das sah so aus.

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Die Headline lautete: „Den Holocaust hat es nie gegeben.“ Darunter war eine Subline angebracht: „Es gibt immer noch viele, die das behaupten. In 20 Jahren könnten es noch mehr sein. Spenden Sie für das Denkmal für die ermordeten Juden Deutschlands.“ Kontonummer, Telefon.

Es gab ein gefülltes Sommerloch. Es erschienen etwa 6000 Artikel gegen das Plakat und etwa 3 dafür. Einer davon sogar in der New York Times. Der abgebildete Zeitungsausschnitt sagt übrigens sehr viel über die politische Klasse, denn Herr Wowereits sonniger Kopf deckt ja den Stein des Anstoßes, das „nie“, sehr konziliant zu. (So dass man nicht mit einem argen Plakat zusammen in die Zeitung kommt)

Jedenfalls war es für uns ein Lehrstück. Der Holocaust ist eine gutdotierte Pfründe, den sich Historiker oder Journalisten nicht allzu gerne mit den Werbern teilen. Nach einigen Tagen hatte Michel Friedmann eine internationale Aktion auf die Beine gestellt, welche die Abhängung des Plakates einforderte – mit der Begründung, das Kleingedruckte wäre zu klein. (Sie können es sicher sehr gut auf dem schlechten jpg lesen?) Am Tag der anberaumten Abhängung erschienen 22 Kamera-Teams von 22 TV-Sendern, aber der liebe Gott bzw. Petrus ist ja auch noch wer. Es gab Sturm Windstärke 10 und die Plakatfirma weigerte sich, die Taue zu lösen. Anderntags kamen nur noch 10 Kamera-Teams.

Und nun zu den Credits:
Michel Friedmann (Autor des Skandals): schaffte es immerhin ein Jahr später auf die Titelseite der BILD-Zeitung. Als „Koks-Friedmann“. Er riß damit etliche ukrainische Prostituierte in die soziale Unsicherheit.

Das Deutsche Volk (Zielgruppe) : wünscht sich nach wie vor zu 90%, den Holocaust hätte es nie gegeben. (Denn dieser ist peinlich und teuer)

Jürgen Michalski und Stefan Mannes (Planning und Strategie): arbeiten nach wie vor an der dringend nötigen Umverteilung von Geld und Vorurteilen

Thekla Heineke (Art Direction): arbeitet mit Stefan Mannes zusammen bei
www.kakoii.de an international erfolgreichen visuellen Welten.

Cosima Reif (Zufallsproduktion, Text und Konzept): zeichnet Briefmarken und erklärt ihren Kindern täglich, dass nicht ein gescheiterter Wiener Kunststudent der berühmteste Deutsche ist, sondern Goethe. Oder Schweinsteiger.

 

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