Geschichten gehen nie zu Ende: In Memoriam Gert Winkler

Ohne Gert wäre ich um vieles dümmer. Ich wüsste nicht, dass die muslimischen Bosnier ehemals aus Südfrankreich und Katalonien geflohene Katharer waren, Ketzer, die es vorzogen, zum osmanischen Sultan zu fliehen, anstatt sich der katholischen Inquisition zu unterwerfen.

Ohne Gert wüsste ich auch nicht, dass Albert R. Broccoli bei der Finanzierung seiner James-Bond-Filme ein Prinzip entwickelte, das so genial wie lukrativ war: Alles ist vorfinanziert. Das Auto bringt Geld mit, der Musiker produziert seinen Song selber, die Uhren, die Tourismus-Gebiete, die Bogner Ski-Kolletionen, alle zahlen ein. Eine gigantische Werbefilm-Produktion. Hätte ich ohne Gert nicht gewusst. Ohne ihn wüsste ich auch nicht, dass Robert Mitchum ein gebürtiger Montenegriner war und Roberto Michunovic hieß.

Die Geschichten erzählte er so quasi nebenbei. In wohl überlegten Mäandern kam er vom Hundertsten ins Tausendste, die sogenannte Winkler-Schleifen drehten sich in gigantischen Windungen um Geschichte, Filme und Geschichten. Tales, Tale, Talomir –  Gert schlüpfte durch die Epochen und Topographien, alles war mit allem verbunden, der russische Film mit dem italienischen Realismus, die Kreuzzüge mit dem Salzamt.

Als meine Mutter starb, tröstete er mich mit einem Vers aus der Edda:

Erst stirbt das Ross, dann sterben die Freunde,
und endlich stirbt man selbst.

Da war er dann, der Tod als Erlösung. Und nicht als Strafe, nicht als Bruch, nicht als Grausamkeit. Heimgehen zu den Freunden und zum Ross. Mich hat es damals getröstet. Ein bisschen. Nur bei Gerts Tod ist dieser Vers kein wirklicher Trost, denn die Freunde sind ja noch da. Er ist als einer der Ersten gegangen. Vorausgehend. Avant-Garde, wie er immer war.

Der Gert, der als erster neue Bilder und neue Geschichten für die Werbung fand. Der in Österreich einen Journalismus erfand, der mit den alten Formeln und hohlen Lügen Schluss machte und im ganzen deutschsprachigen Raum Nachahmer fand. Und jeder durfte sein Schüler sein, mit jedem teilte er sein Füllhorn an Geschichten und in seiner unermesslichen Neugier hörte er jedem zu, dem Gauner wie dem VIP, dem Serben wie dem Franzosen. Wo sein Platz war in der Gesellschaft interessierte ihn überhaupt nicht, er absorbierte Schichten und Milieus, selbst zementierte Gesteinsschichten, die sogenannte Gesellschaft. Er war erhaben über jedes Setting. Er war die grosse Rahmenhandlung, die Sheherazade Wiens.

Ich hab in der Edda nachgeschaut. Der Vers geht weiter, und das ist mir vielleicht ein Trost.

Doch nimmer mag ihm der Nachruhm sterben,
Welcher sich guten gewann.

Für Gert. 5.9.1942-6.1.2016

 

 

 

 

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Ein Kommentar

  1. Ich kam mir immer etwas dumm neben ihm vor, aber er ging immer mit einem verschmitzten Lächeln darüber hinweg….

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