Nachtrag: 10 things I liked most in St. Petersburg.

Meine Russophilie, meine kritiklose Art, alles und jeden in Russland großartig zu finden und schon beim Anblick russischer Dachrinnen eine Art orgasmische Euphorie an den Tag zu legen, ist bisher schon im engeren Familienkreis bekannt und wird dort milde belächelt.
Was schert mich das – jetzt soll es das WWW erfahren!
Wir waren, wie angedeutet, in Leningrad (gottlob lebt der Kommunismus im Flughafen-Kürzel LED weiter) und alles war phantastisch. Hier nur 10% der erlebten Highlights.

Auf Nr. 10 der Petersburger Hitliste steht das „Auf den Putz hauen“. Man trinkt Champagner. Ich hatte Schlumberger mitgebracht, aber der wurde in Bausch und Bogen abgelehnt. Schlumberger, Österreichs Antwort auf die K.O. Tropfen, so hieß es. Ich wollte ihn dann am Ende schon selber trinken, aber angesichts der geschmacklichen Übermacht hab ichs gelassen.

Auf Platz 9: die Petersburger Toiletten. Eine Frage des Input-Output. Wenn nur Bestes hineingesteckt wird, muss ja auch das Entleeren einen gewissen Standard halten.
Petersburg ist eine Kulturstadt und in den meisten Klos findet man eine Bibliothek mit mindestens 100 Werken der Weltliteratur. Im Idioten, wo man mit Analphabeten zu rechnen hat, herrscht die Bildende Kunst. Auch sehr schön.

baden

Auf Platz 8: Das Wetter.
Ende April kamen noch die Eisschollen die Neva herunter. 2 Wochen später sieht es schon aus wie in Rimini.

Auf Platz 7: Die Brücken.
Leningrad, im weiteren Verlauf Petersburg genannt, ist den Sümpfen abgewonnen und liegt nun auf verschiedenen Inseln und Halbinseln. Sie werden mit Brücken verbunden. Aber – Nachts um 1, manchmal auch um 2, gehen die Brücken hoch. Die Wirte wuseln eine halbe Stunde vorher um die Gäste und mahnen: Die Brücken, die Brücken! Mosti, Mosti !
Wenn die Brücke hoch ist, muss man 3-4 Stunden warten. Um in seinen Stadtteil zu gelangen.
4 Stadtteile werden durch 9 Brücken voneinander getrennt. Das ist wie im Film „Inception“. Die Strasse geht senkrecht vor dir hoch.
Mit einer Wasser-Hydraulik, die im 19. Jahrhundert erfunden wurde. Damit die Schiffe vom Meer ins Landesinnere, oder die vom Landesinneren ins Meer finden. Welch ein wunderbarer Rhytmus.

 

Jelisejev

Auf Platz 6: Jelisejev. Die Gemischtwarenhandlung am Newski Prospekt.
Petersburg war ja ein Schmelztiegel – Deutsche, Tartaren, Georgier, Dänen und jüdische Kaufleute. Einer davon, Jelisejev, baute ein „Paradis des Dames“ Hier kriegt man (wieder?) Austern, Hochzeitstorten und Heiße Schokolade, so bittersüß, dass man süchtig werden könnte. Oben auf der Balustrade singen 2 mechanische Sänger Jazz mit ruckeligen Bewegungen.
Überdies ist Petersburg noch immer ein Schmelztiegel. Wir hatten uns angewöhnt, mit Schwarztaxis zu fahren, Fürst Myschkin 2 handelte die Tarife aus. Ein Schwarztaxler war aus Samarkand und warf beständig irgendwelche usbekischen Drogen ein, fuhr uns bis zum Moskauer Tor, besann sich dann, und hetzte zurück zur sich grade öffnenden Brücke. Na, wir haben es überlebt und feierten dann im „Produktii“. So heißen hier die Supermärkte.

rauchen

Alles, was nicht wächst, muss irgendwie produziert werden. Deshalb fand ich es auch fein, dass die Läden „Produktii“ heißen – Mein Platz 6!
Wodka muss produziert werden und Mayonnaise und Zigaretten. Fein, dass die entsetzliche EU noch nicht bis St. Petersburg gekommen ist – hier darf man noch im Restaurant rauchen. Aber die „Kurenje tötet“ Pickerln sind auch schon auf den Papyrossi.

 

partisan

 

Auf Platz 5 finden wir hier die russischen Partisanen, verewigt von der zaristischen Porzellan-Manufaktur. Unter ihren Hasen-Ohren verstecken sich die Antennen ihrer Funkgeräte. Solch nette Partisanen hätte doch jeder gern.

 

Meerbusen

Auf Platz 4: der finnische Meerbusen. Hier mit Fürst Myschkin 2 und unserem Gastgeber Kyrill.

Atlanten

Leider, leider: Touristen haben manchmal recht. Auf Platz 3 landet die Eremitage. Hier der Dienstboteneingang mit den 16 Atlanten aus Kaukasischem Granit. Erst dachte ich, es seien Bronzen: eine Form, 16 Abgüsse. Mitnichten.
In der Ermitage wird „Produktii“, das Erarbeitete, hochgehalten. 16 mal aus Granit gehauen. Kein Atlas gleicht dem anderen.
5,5 Meter hoch. Für den Lieferanten-Eingang. Und da soll man nicht der Russophilie verfallen ?
Übrigens hatten wir (Fürst Myschkin 1, Fürst Myschkin 2 und Fürstin Myschkaya) das Glück der Idioten: In der Ermitage war Gratis-Tag.
Vor der Tafel mit Grund-Eintritt plus Zaren-Gemächer plus Pfauen-Saal plus Winterpalais rechnend verzweifelnd, schoben wir das Geld zur Kommandatur, wo es postwendend zurückgeschoben wurde. Einmal im Monat ist alles umsonst. Zufällig heute. Keine Frage: Wir stürmten sofort das Ermitage-Café, um das Geld loszuwerden.

Nach 5 Stunden Ergötzen am Parkett, Monolith, Artefakt & Sarkopharg wankten wir raus. „Die Kunstwerke betrachten nur ich und die Mäuse“ , schrieb Katharina II an Voltaire.

Kutusov

Hier ein Ausschnitt vom Saal „Vaterländischer Krieg“, nicht zu verwechseln mit „Großer Vaterländischer Krieg 1941 bis 1945“. Im kleinen vaterländischen Krieg ging es gegen Napoleon. Hier General Kutusov, bekannt aus „Krieg und Frieden“, umrahmt von seinen Generälen. Ein Kitsch sondergleichen, aber es sind ein paar recht gutaussehenden Männer darunter.

Tocka

 

Now we come to Placement Nr 2: Die Oper, in Petersburg Mariinski genannt. Wir sehen das Applausbild zu Toska, Valerii Gergiev dirigierte. Es war eine konzertante Aufführung und das Theater bis auf den letzten Platz ausverkauft. Parallel fand eine Schallplattenaufnahme statt, da die Sopranistin einen internationalen Gesangswettbewerb gewonnen hatte. Es war fulminant. Gergiev hat ein Herz für Schwerhörige und haut voll rein, aber Caravandossi und der Heldensopran waren noch lauter. Das Publikum tobte vor Vergnügen!
Leider genoss ich die akustische Orgie allein, auf meinem 300-Rubel-Platz, 100 Meter Luftlinie von der Bühne entfernt.
Fürst Myschkin 1 und Fürst Myschkin 2 waren nach dem 1. Akt über die Strasse ins Konservatorium abgewandert, weil dort Ballet Russe geboten war, Tschaikovskis Dornröschen. Wo ich sie dann aus ihrem Dornröschenschlaf erlösen musste….

 

pestoranbrot

Nun Platz 1: Ich bin unentschlossen. Ist es das Restaurant „Restaurant“ in der Universitätsuferskaya Ulitza, um die Ecke von der Börse ? Wo wir Koriuschki verzehrten, den Fisch, der nur 2 Wochen, Mitte Mai, durch die Newa schwimmt und dessen Weibchen ein Bäuchlein voller Kaviar enthalten? Mit dem würzig-süßlichen Rote-Rüben-Brot zum Meerrettich-Wodka ?

 

pestoran

Oder sind es nicht eher die Gefährten ? Seit Frodo Beutlin hat wohl niemand solche Reisegefährten gehabt wie ich. Betrachten wir dieses Idyll:
Im Vordergrund die hausgemachten Wodkas des „Restaurant“, hervorstechend die Sibirische Nuss, der Zedernzapfen-Wodka. Im Hintergrund die bezaubernden Fürsten Myschkin 1 & 2, und dann in der 3. Reihe etwas versteckt Großfürst Kyrill, der Gastgeber. Nastarowje.

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